Im Rahmen der Gemeinsamen Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie und der Bayerischen Urologenvereinigung in Graz wurden nicht nur Kontroversen in der Urologie, sondern auch neue Trends diskutiert.
Minimalinvasive Therapie
„Bei der Laparoskopie werden heute sowohl funktionell als auch im onkologischen Bereich ähnlich gute Ergebnisse wie bei der offenen Operation erreicht“, berichtet Prim. Dr. Michael Dunzinger, Abteilung für Urologie und Andrologie, LKH Vöcklabruck. „Allerdings ging mit der Entwicklung der laparoskopischen Nephrektomie die Nierenteilresektion zurück, und dies mit einem vermuteten Nachteil für die Patienten.“
Das Hauptproblem der Laparoskopie war zunächst die lange Ischämiezeit. Thompson et al. (Eur Urol 2010) zeigten in ihrer Studie, dass eine Ischämiezeit von maximal 25 Minuten relevant zu sein scheint. „Eine der zentralen Entwicklungen war das ‚Early Unclamping‘, das deutlich kürzere Ischämiezeiten ermöglicht“, so Dunzinger weiter. „Dagegen geht die Zero-Ischämie mit einem äußerst aufwändigen anästhesiologischen Prozedere einher.“ Weiters zeigten Remzi et al. (Eur Urol 2011), dass bei der laparoskopischen Kryoablation lokale Rezidive deutlich häufiger auftreten als bei der partiellen Nephrektomie.
„Das Fazit der Autoren lautet: Die partielle Nephrektomie bleibt der Goldstandard, aber die Kryoablation ist bei hoher Komorbidität und fortgeschrittenem Alter eine interessante Option. Gleiches gilt ebenfalls für die Radiofrequenzablation“, sagt Dunzinger.
Im Vergleich Roboter-assistierte versus laparoskopische partielle Nephrektomie (Aboumarzouk et al., Eur Urol 2012) ist die Roboter-assistierte Technik mit einer kürzeren Ischämiezeit bei sonst vergleichbaren Ergebnissen assoziiert. Dunzinger: „Unbeantwortete Fragen sind unter anderem Schnitttechniken bei offenen Operationen, die Ausbildung von Kollegen in Bezug auf Hightech-Medizin und ob zukünftig alle Eingriffe ausschließlich in ‚High Volume‘-Zentren durchgeführt werden.“
Operative Therapie
Die Inzidenz des Nierenzellkarzinoms (RCC) steigt pro Jahr um etwa zwei Prozent und weist die höchste Mortalität unter den urologischen Malignomen auf: 20 bis 30 Prozent der Patienten entwickeln synchrone Metastasen. „Für die Prognose ist weder die Größe allein noch das chirurgische Vorgehen ausschlaggebend“, informiert Dr. Daniel Vergho, Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie, Julius-Maximilians- Universität Würzburg.
„Faktoren wie Lokalisation, vaskuläre Invasion, Multifokalität, Infiltration des perirenalen Fettgewebes oder des Hohlsystems oder der angrenzenden Organe beeinflussen das operative Vorgehen.“ An Techniken stehen offene, laparoskopische und Roboterassistierte Verfahren zur Verfügung. Zwei Trends gibt es hierbei zu verzeichnen: die minimalinvasive Chirurgie und der Organerhalt (Smaldone et al., Urology 2013).
„Laut EAU-Guidelines 2013 sollten T1-Tumoren einer nierenerhaltenden Chirurgie unterzogen werden, wobei derzeit die offene Operationstechnik noch der Goldstandard ist, aber die laparoskopischen und Roboter-assistierten Verfahren eine Alternative darstellen“, so Vergho. „Die Limitationen der nierenerhaltenden Bestrebungen liegen in der intraoperativen Entscheidung zur Nephrektomie bzw. dem erhöhten Risiko für ein Lokalrezidiv bei großen Nierentumoren. Bei T2-Tumoren sollte laut Empfehlung eine laparoskopische bzw. Roboter-assistierte radikale Nephrektomie durchgeführt werden.“
Eine simultane Adrenalektomie verbessert das Überleben bei großen Nierentumoren nicht und wird deshalb nicht empfohlen. „Eine Ausnahme sind Hinweise auf Metastasierung oder eine lokale Invasion“, sagt Vergho. „T4-Tumore, die Nachbarorgane infiltrieren, sollten in einer offenen Operation entfernt werden.“
Diagnostik
Zur Detektion von Harnblasentumoren stehen neue Verfahren zur Diskussion wie etwa die optische Kohärenztomografie (OTC), das Narrow Band Imaging und die photodynamische Diagnostik (PDD). Eine Metaanalyse von Burger et al. (Eur Urol 2013) konnte deutliche Verbesserungen in der Detektion zusätzlicher Tumore mit einer Rate von fast 25 Prozent bei der Blaulichtzystoskopie mit Hexaminolävulinsäure gegenüber der Weißlichtzystoskopie nachweisen. Das Gleiche bestätigt sich bei der Detektion von Karzinoma in situ. Zudem sinkt die Rezidivrate unter der PDD. Prof. Dr. Bernd Wullich, Urologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, fasst zusammen: „Die PDD kann somit als Standardverfahren bezeichnet werden, während die OTC und das Narrow Band Imaging experimentelle Verfahren darstellen, die erst ihre Nischen finden müssen.“
Ältere Patienten
Das invasive Harnblasenkarzinom im Alter nimmt immer mehr an klinischer Bedeutung zu. „Es gilt alle Optionen zu bedenken, da auch ältere Patienten häufig Kandidaten für eine Zystektomie und damit Harnableitung darstellen. Die Komplikationen der Zystektomie im Alter sind nicht zwangsweise höher, jedoch zeigt sich, dass die Ergebnisse an Zentren mit Erfahrung nachweislich besser ausfallen“, sagt Prof. Dr. Jürgen Gschwend, Klinik für Urologie, Klinikum rechts der Isar der TU München.
Bezüglich Harnableitung im Alter besteht im Hinblick auf die Kontinenz ein klarer Trend für ein Stoma versus othotopem Blasenersatz. „Eine Harnblasenteilresektion ist nur in Einzelfällen und bei unifokalen T2-Tumoren eine sinnvolle Option. Entscheidend für die Indikation ist die Lokalisation des Tumors wie beispielsweise am Blasendach bzw. an der Blasenhinterwand“, so Gschwend weiter. „Gegen eine Teilresektion sprechen ein gestauter oberer Harntrakt (T3) oder die Beteiligung des Blasenbodens bzw. Trigonums. Das Zugangstrauma ist mit der Zystektomie vergleichbar, die Rezidivrate liegt laut Literatur zwischen 65 bis 75 Prozent.“
Varikozele
Als Varikozele wird die pathologische Erweiterung des Plexus pampiniformis bezeichnet, die bei 20 Prozent aller Männer und in 80 Prozent der Fälle linksseitig vorkommt. Bei Varikozelen vom Grad 0 bis II ist dann eine Operation indiziert, wenn Schmerzen und kosmetische Aspekte dominieren, bei Adoleszenten eine Hodenvolumenreduktion von mehr als 1,5ml zur Gegenseite besteht und eine Infertilität mehr als zwei Jahre bei moderater Spermiogrammeinschränkung vorliegt“, erläutert Prof. Dr. Theodor Klotz, Klinik für Urologie und Kinderurologie, Klinikum Weiden. „Kritisch zu hinterfragen bzw. abzulehnen ist eine Varikozelenoperation bei Infertilität bei normalem Spermiogramm, Azoospermie oder ausgeprägtem OAT-(Oligo-Astheno-Teratozoospermie)-Syndrom, Infertilität und FSH-Erhöhung und Varikozele Grad 0 bis II, wenn nur eine Varikozele nachweisbar ist.“
Small Renal Mass
Tumore, die im Rahmen einer Bildgebung entdeckt werden und ≤4cm sind, werden als Small Renal Mass (SRM) bezeichnet. „Die laparoskopische bzw. perkutane Ablation stellt für Patienten mit SRM und hohem operativem Risiko, die eine aktive Therapie wünschen, eine Option dar. Allerdings sollte vor der Therapie immer eine Biopsie durchgeführt werden.
Bei der Aufklärung ist das höhere Risiko eines Rezidivs bzw. einer Re-Intervention anzusprechen, und dass Salvage-Therapien zur Nephrektomie führen können“, erklärt Univ.-Doz. Dr. Mesut Remzi, Abteilung für Urologie, LKH Korneuburg-Stockerau. „Ungeeignet sind Tumoren, die im CT ein infiltratives Wachstum zeigen sowie größer als 3,5cm sind.“ Die aktive Überwachung sollte mit allen Patienten besprochen werden, die ein höheres Operationsrisiko und eine geringere Lebenserwartung haben. Die Gefahren bestehen darin, dass es keine kurativen Salvage-Optionen gibt, wenn Metastasen auftreten, eventuell ist eine Nierenteilresektion nicht mehr durchführbar, und die aktive Überwachung bei Tumoren >3 bis 4cm ist nicht gut geeignet. Remzi: „Für Patienten ohne Komorbiditäten ist ganz klar die Operation die Therapie der Wahl. Bei Komorbiditäten ist sowohl die aktive Überwachung als auch die Ablation zu erwägen, aber auch die Operation.“
Mag. Nicole Martinek
39. Gemeinsame Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie und der Bayerischen Urologenvereinigung, Graz, 7.–8.6.13
© MMA, Clinicum Urologie 2/2013