AK Prostata

Diagnostische und therapeutische Leitlinien

LUTS Stefan Madersbacher, Clemens Brössner et al

Stellungnahme des Arbeitskreises Prostata der Österreichischen Gesellschaft für Urologie

1. DEFINITIONEN

  • benigne Prostatahyperplasie (BPH): eine spezifische histopathologische Entität, die durch eine Hyperplasie stromaler und epithelialer Zellen charakterisiert ist
  • benigne Prostatavergrößerung (benign prostatic enlargement, BPE): eine BPH kann zu einer benignen Vergrößerung der Prostata führen
  • benigne Prostataobstruktion (benign prostatic obstruction, BPO): eine mittels Uroflow, Restharn und Urodynamik nachgewiesene Obstruktion des Harnflusses

2. AUSSCHLUSSKRITERIEN

Die Empfehlungen des Arbeitskreises Prostata gelten nicht für Patienten mit folgenden Kriterien (diese Patienten benötigen eine andere diagnostische und therapeutische Vorgehensweise, die im Rahmen dieses Konsensusberichtes nicht dargestellt wird):

  • Lebensalter unter 50 Jahre
  • Vorliegen eines Prostatakarzinoms
  • vorausgegangener fehlgeschlagener invasiver Behandlungsversuch der BPO • schlecht eingestellter Diabetes mellitus und diabetische Neuropathie
  • Verdacht auf neurogene Blasenentleerungsstörung
  • operative Eingriffe im Becken oder Beckentrauma in der Anamnese
  • Geschlechtskrankheit in der Anamnese
  • Einnahme von Medikamenten mit möglichem Einfluß auf die Blasenfunktion

3. DIAGNOSTIK

  • empfohlene Untersuchung: eine Untersuchung, die bei jedem Patienten empfohlen wird
  • fakultative Untersuchung: eine Untersuchung, deren Nutzen bei bestimmten Patienten erwiesen ist
  • nicht empfohlene Untersuchung: eine Untersuchung, die bei den meisten Patienten keinen nachweisbaren Nutzen aufweist. Allerdings kann eine derartige Untersuchung bei bestimmten Patienten sinnvoll sein, die die o.g. Kriterien eines Standardpatienten nicht erfüllen.

3.1. BEI DER ERSTUNTERSUCHUNG EMPFOHLENE UNTERSUCHUNGEN

Anamnese

- Art und Dauer der urogenitalen Symptome
- vorangegangene operative Eingriffe
- allgemeine Gesundheitsprobleme (Sexualanamnese) - derzeitige Medikation

Quantifizierung der Symptome

Wenn sich Patienten mit LUTS vorstellen, die auf eine zugrundeliegende BPO hindeuten, wird die Verwendung eines kurzen, vom Patienten selbst auszufüllenden Fragebogens in einer dem Patienten leicht verständlichen Sprache empfohlen, um die Häufigkeit der Symptome aus der Sicht des Patienten objektiv zu dokumentieren. Die sieben symptomenbezogenen Fragen des Internationalen Prostatasymptomen Scores (IPSS), sind das empfohlene Meßinstrument, die Patienten können wie folgt klassifiziert werden

  • IPSS 0-7: geringradige Symptomatik
  • IPSS 8-19: mäßiggradig symptomatisch
  • IPSS 20-35: hochgradig symptomatisch
Beurteilung der Lebensqualität

Unabhängig davon, welche Fragebögen verwendet werden, sollte auch die Lebensqualität erfaßt werden. Bei der Lebensqualitätsbeurteilung, die im Zusammenhang mit dem IPSS erfolgt, handelt es sich um eine einzige Frage. Mit ihr wird erfragt, wie der Patient sich fühlen würde, wenn er seinen gegenwärtigen Symptomenzustand für den Rest seines Lebens ertragen müßte.

Körperliche Untersuchung und digital rektale Untersuchung (DRE)

Urinanalyse

Die Urinuntersuchung kann durch die Verwendung eines Teststreifens oder durch die Untersuchung des Harnsedimentes nach Zentrifugierung erfolgen.

Darstellung des oberen Harntraktes durch Ultraschall

Prostataspezifisches Antigen (PSA) im Serum 

Die Bestimmung des PSA im Serum zusätzlich zur DRE, erhöht eindeutig die Diagnosewahrscheinlichkeit eines Prostatakarzinoms im Vergleich zur alleinigen DRE. Eine PSA-Bestimmung wird bei der Erstabklärung von Patienten mit einer voraussichtlichen Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren empfohlen, bei denen therapeutisch vorgegangen würde, falls ein Prostatakarzinom nachgewiesen werden sollte.

Harnflußmessung

Die maximale Harnflußrate (Qmax)stellt den wichtigsten einzelnen Meßparameter dar, wobei ein niedriger Qmax allerdings nicht zwischen einer Obstruktion und einer verringerten Kontraktilität des Detrsors unterscheiden kann. Aufgrund der intraindividuellen Variabilität der maximalen Harnflußrate (Miktionsvolumen mindestens 100ml, besser jedoch 150 ml) sollten mindestens 2 Harnflußmessungen durchgeführt werden.

Restharn

Am besten erfolgt die Restharnbestimmung im unmittelbaren Anschluß an die Harnflußmessung mittels transabdominaler Sonographie. Aufgrund einer nicht unerheblichen intraindividuellen Variabilität sollte die Restharnmessung zur Verbesserung der Aussagekraft wiederholt werden.

3.2. FAKULTATIVE UNTERSUCHUNGEN

Miktionstagebuch

Ein über 24-Stunden-Zeiträume ausgefülltes Miktionstagebuch hilft, Patienten zu identifizieren, bei denen eine beträchtliche Polyurie besteht oder die übermäßig viel Flüßigkeit zu sich nehmen, was bei älteren Männern nicht ungewöhnlich ist. Darüberhinaus bewährt sich das Miktionstagebuch bei im Rahmen der Erstuntersuchung erhobenen diskrepanten Befunden.

Druck-Fluß-Studie

Die Druck-Fluß-Studie stellt das einzige Verfahren dar, welches eine Möglichkeit bietet, zwischen Männern mit einer niedrigen Harnflußrate aufgrund einer Detrusorschwäche und solchen mit einer beträchtlichen Obstruktion zu unterscheiden. Dies gelingt dadurch, daß der Detrusordruck zum Zeitpunkt der maximalen Harnflußrate zur maximalen Hanrflußrate in Beziehung gesetzt wird.

Darstellung der Prostata durch transabdominalen oder transrektalen Ultraschall

Die routinemäßige Darstellung der Prostata mittels Sonographie wird nicht empfohlen, allerdings kann der Erfolg bestimmter Behandlungsverfahren (z. B. Finasterid, Thermotherapie, Stents, TUIP) von besonderen anatomischen Charakteristika der - 3 - Prostata abhängen. Bei Männern mit erhöhtem Serum-PSA Spiegel ist die transrektale Sonographie die Methode der Wahl zur Untersuchung und Ausmessung der Prostata sowie zur Führung der Biopsienadel bei der gezielten Biopsie aus verdächtigen Arealen oder bei einer Sextantenbiopsie zum Ausschluß eines Prostatakarzinoms.

Endoskopie des unteren Harntrakts

Bei der Erstuntersuchung eines ansonsten gesunden Patienten, bei dem möglicherweise eine unkomplizierte BPO vorliegt, wird eine Endoskopie des unteren Harntrakts nicht empfohlen. Es gibt Behandlungsalternativen, bei denen Erfolg oder Mißerfolg von der anatomischen Konfiguration der Prostata abhängen (z. B. TUIP, Thermotherapie, Stents). Falls derartige Behandlungsalternativen in Erwägung gezogen werden, kann eine Endoskopie hilfreich sein und wäre in diesem Fall empfehlenswert. Eine Endoskopie ist auch unmittelbar präoperativ erforderlich, wenn in Abhängigkeit von der Größe und der Form der Prostata entschieden werden muß, ob ein Patient Kandidat für eine TURP, TUIP oder eine offene Prostatektomie ist.

3.3. NICHT EMPFOHLENE UNTERSUCHUNGEN

Im Gegensatz zu den oben angeführten Untersuchungen, zu deren Durchführung spezifische Indikationen bestehen, liefern die nachfolgend genannten Untersuchungen bei der Beurteilung von Patienten mit LUTS keine nützliche Information und werden daher in Routinefällen nicht empfohlen

  • retrograde Urographie
  • Urethradruckprofil
  • Miktionszysturethrogramm
  • Elektromyographie des Sphinkter urethrae externus
  • Zystogramm

4. EMPFEHLUNGEN ZUR BEHANDLUNG BEI LUTS

4.1. Kriterien für ein anerkanntes Behandlungsverfahren

Ein als anerkannt zu bezeichnendes Behandlungsverfahren muß folgende Kriterien erfüllen:

  • Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlungsverfahren müssen in Studien nachgewiesen worden sein, die die Richtlinien erfüllen, welche die unter der Schirmherrschaft der WHO stehende Internationale Konsultation über die BPH erarbeitet hat
  • jegliche Behandlungsreform für diese Erkrankung sollte mindestens eine der folgenden Zielsetzungen erfüllen: Verbesserung der Symptome, Reduktion der Obstruktion und Verringerung von Langzeitkomplikationen
  • die mit der Behandlung einhergehenden Risiken für Morbidität und Mortalität müssen in Relation zur Art des Behandlungsverfahren stehen

4.2. Behandlungsverfahren


4.2.1. Abwartende Vorgehensweise ("watchful waiting")

Ist eine anerkannte Behandlung bei allen Patienten, bei denen keine imperative Operationsindikation besteht.

4.2.2. Medikamentöse Behandlung

α1-Rezeptorblocker
α1-Rezeptorblocker stellen eine anerkannte Behandlungsoption für diejenigen Patienten dar, bei denen belastende Symptome bestehen, ohne daß bisher schwerwiegende Komplikationen aufgetreten wären

5α-Reduktase-Inhibitoren
5α-Reduktase-Inhibitoren sind eine anerkannte Behandlungsoption für diejenigen Patienten, bei denen belastende Symptome bestehen, ohne daß bisher schwerwiegende Komplikationen aufgetreten wären. Derzeit sind 2 Präparate auf dem Markt die entweder den Typ 1 und 2 isoform Rezeptor der 5 alpha reductase hemmen oder nur Typ 2.

Östrogen Reuptake-Hemmer
Randomisierte Studien die eine Wirksamkeit und sehr gute Verträglichkeit von Mepartricin nachweisen liegen vor. Langfristige Verlaufsbeobachtungen (12 Monatsstudien) fehlen jedoch.

Phytopharmaka
Berichte über randomisierte Studien von kurzer Dauer liegen vor, die eine klinische Wirksamkeit und Verträglichkeit einiger Phytopräparate nahelegen. Weitere Untersuchungen nach den Richtlinien der Internationalen Konsultation über die BPH sind erforderlich. Langfristige Verlaufsbeobachtungen (12-Monatsstudien) fehlen bei den meisten Phytopräparaten. Die Durchführung derartiger Studien wird befürwortet, da dieser Therapieansatz interessant für weitere pharmazeutische und klinische Forschnungen ist.

4.2.3. Interventionelle Therapieverfahren

Auf der Grundlage der gegenwärtig vorliegenden Daten erscheinen die Ballondilatation und die Hyperthermie (mit einer therapeutischen Temperatur < 45°C) keine anerkannte Behandlungsoptionen zu sein.

Intraurethrale Stents sind nur bei Hochrisikopatienten ein anerkanntes Behandlungsverfahren.  

Thermotherapie
Dieses Verfahren wird in verschiedenen Techniken angeboten, die eine Koagulationsnekrose in der Prostata erzeugen. Je höher die therapeutische Temperaturen innerhalb der Prostata sind, umso besser sind die klinischen Ergebnisse, umso größer  sind jedoch auch die Nebenwirkungen. Die Datenlage zur Notwendigkeit einer erneuten Behandlung, zur Dauerhaftigkeit eines initialen Therapieerfolges und zur Kostengünstigkeit ist unvollständig.

  • transurethrale Mikrowellenthermotherapie: eine anerkannte Behandlungsmöglichkeit
  • transurethrale Nadelablation: eine anerkannte Behandlungsmöglichkeit
  • fokussierter Ultraschall: zur Zeit keine anerkannte Behandlungsmöglichkeit Laserkoagulationstechnik Sichtlaserablation: eine anerkannte Behandlungstechnik Interstitielle Laserkoagulation: eine anerkannte Behandlungstechnik Laser-Vaporisation: eine anerkannte Behandlungstechnik Neuartige Lasertechniken wie KTP oder die Holmiumlaserresektion befinden sich derzeit in Erprobung. Elektrovaporisation eine anerkannte Behandlungsmöglichkeit. TUIP, TURP, offene Prostatektomie alle 3 Techniken sind anerkannte Behandlungsverfahren. Die TURP bleibt die operative Standardtherapie, mit der alle anderen interventionelle Therapien, die eine Narkose benötigen, verglichen werden müssen. Eine TURP ist langfristig erfolgversprechend mit einer 10-Jahres-Reoperationsrate von etwa 10-15%.